“Wer Siegen will muss leiden, nur wer leiden kann, kann auch siegen.” Eddy Merckx

Erlebnisbericht vom „Sachsenmädel“ beim 24h Rennen Kelheim. (Fotos in Arbeit)

Es gibt nur wenige Sportwettkämpfe, die für Teilnehmer wie Zuschauer derartige gefühlsbetonte Begeisterung auslösen können wie diese 24 Stunden Rennen – das Original in Kelheim.2
Ich kannte diese Rennen schon vom Vorjahr als wir mit den Racing Amazon Team den 2. Platz bei den Frauenmannschaften einfuhren. Dieses Jahr wollte ich es als Solist durchstehen. Mein erstes 24h Rennen!
Theoretisch war alles klar. Guter Trainingszustand, eigener Betreuer, ausgewählte Ernährung usw. Aber halte ich das durch? Ich wusste hier erwarten mich irrationale Dimensionen – der Kopf befindet sich sozusagen mit dem Körper im Dauer – Kriegszustand. Die kräftezehrende Ausdauer-Höchstleistung gepaart mit Schlafentzug lässt hier uns Leistungssportler unbekannte Erfahrungswelten durchleben.
Also ging es zum Freitagnachmittag auf nach Kelheim. Am Abend suchten wir uns gleich an der Rennstrecke einen schattigen Platz (das Campen zu diesem Event ist hier im Ort an allen Plätzen erlaubt) und ließen den Tag mit Aufregung auf das kommende ausklingen.
Die Rundstrecke in Kelheim (16,8 km) übt schon allein durch seine beeindruckende Streckenführung im Altmühltal eine unglaubliche Anziehungskraft aus. Der Anstieg am Strausacker Berg (180 Hm), vorbei an der Befreiungshalle mit Anfangs 5-9% dann bis zu 12% ist für jeden Rennfahrer eine Herausforderung und lässt die Pulsfrequenz in die Höhe schnellen.
Ab 12.00 Uhr wurden alle Aktivitäten dem bevorstehenden Start gewidmet. Über das Wetter gab es die unterschiedlichsten Prognosen. Vom heißen trockenen Wetter bis Unwetter war alles dabei.
Dann kam pünktlich um 14.00 Uhr der Startschuss und das Fahrerfeld setzte sich, gesäumt von tausenden Fans in Bewegung. Die ersten Runden waren ausgesprochen schnell. Ich versuchte immer wieder die Gruppe zu halten. So verging der Nachmittag verhältnismäßig problemlos. Sandro reichte mir immer wieder Flaschen um meinen Flüssigkeitsverlust (es waren immerhin 33°) in Grenzen zu halten. Mit der Verpflegung hatten wir uns verständigt das ich aller 5 bzw. 3 Runden kurz halte und eine Mahlzeit zu mir nehme. Sandro bereitete alles vor. Ich rief ihm nur meine Wünsche zu und in der nächsten Runde war alles angerichtet. Haferflocken in warmer Milch, Nudeln, Tee mit Honig, Kaffe und selbstgemachte Plinse bestimmten die Speisekarte am Tisch. Unterwegs immer wieder ein Gel war notwendig um den Kalorienverlust auszugleichen.6
Trotz aller Motivation von den Fans musste ich aufpassen dass ich meinen „Motor“ nicht überdrehe. Es waren schließlich noch einige Stunden einschließlich der langen Nacht zu fahren. Beeindrucken immer wieder die Kulisse der Fans die im wahrsten Sinne des Wortes die Fahrer nach oben Richtung Berg trugen. Diese spannungsgeladene Atmosphäre die sich auf Fahrer wie Zuschauer wechselseitig überträgt macht das Flair des 24h Rennens aus. Anfeuerungsversuche, wie „Ziag-oh“ – „Sssuuuppieee“ – „gemma gemma“ – „go go go“ verfehlen ihre Wirkung nicht. Vor allem nachts bei ohrenbetäubender Kulisse mit Disco-Hard-Rock-Musik, Rasseln und Trommeln herrschte am Berg eine Art Alpe d`Huez Stimmung. Wahnsinn.
Ähnlich im Start Zielbereich wo der Sprecher die Zuschauer regelrecht euphorisiert. Den Bereich der Innenstadt von Kelheim durchfährt man in einem riesigen Zelt mit Bildschirmleinwänden der Zwischenstände und jubelnden Publikum.4
So bin ich eigentlich bis Mitternacht und ca. 23 Runden ganz gut zurechtgekommen. Nun machten sich aber die ersten Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Kaum vorstellbar, wenn die Rundstrecke zum x-ten Mal durchfahren wird. Jetzt sind Willensstärke und Leidenschaft nun mal entscheidende Erfolgskriterien im Radrennsport – das gilt für das 24h Rennen erst recht. Die zweite Nachthälfte gleichte einer „Durchhalteschlacht“ –schon deshalb –da sich die letzten Zuschauer in ihre Schlafsäcke verkrochen haben und damit das letzte Motivationspotential weg brach. Ich hatte mit Nackenschmerzen durch die andauernde Rennhaltung so meine Probleme. Eine leichte Massage und eine schmerzstillende Creme halfen hier aber weiter. Somit war die härteste Phase der Ausdauerschlacht angebrochen. Der Kopf funktionierte nur noch sinnentleert und der Körper mechanisch.
Doch jede Nacht hat ein Ende. Was man fühlt wenn frühmorgens die Dämmerung einsetzt und die aufgehende Sonne den Horizont rosafarben erhellt, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Vergessen sind die Motivationslöcher und der Blick richtet sich dem Ziel zu. Aber es sind ja noch 10 Stunden bis zum Ende!? In diesen Augenblicken bewahrheitet sich die Aussage „je höher der Leidensdruck desto intensiver das Erfolgserlebnis“.
In den nächsten Stunden füllten sich wieder Straßen und Plätze mit schaulustigen und begleiteten uns emotional immer wieder zum Ziel.
30 Runden geschafft. Der kleine Anstieg vor der Stadteinfahrt über die Donaubrücke ist kurz und knackig aber führt direkt auf die Kopfsteinpflasterpassage Richtung Zentrum. Mir schmerzen die Hände und die Handgelenke von den ständigen Erschütterungen.
Sandro und Niels (der zum frühen Morgen auch noch hinzukam) gaben mir ständig die neusten Rundenzeiten und die Abstände zu den Verfolgerinnen durch. Ich hatte schon in der Nacht vernommen dass die große Favoritin mit Schwächeanfällen ausgestiegen war. Ich konnte und wollte es noch gar nicht glauben das ich jetzt in führender Position fahre. Nur jetzt die Ruhe behalten und keine Schwäche zeigen. Ständiges Essen, frische Getränke und Kaffe hielten mich in Form.
12.00 Uhr – mein Abstand zur Verfolgerin vergrößerte sich und das gab mir noch mal richtig Kraft. Im Stadtzentrum und auch in unserem Fahrerlagern wurden schon Vorbereitungen für das große Finale getätigt.
Die Stimmung wanderte in Richtung Tageshöhepunkt.
35. Runde. Nun war ich mir sicher. Das war mein Rennen. Den Sieg lasse ich mir nicht mehr nehmen. Aufgepeitscht von den Gedanken und die Glücksgefühle schon in Lauerposition trieb ich mein Rad ein letztes Mal die 180 Hm den Berg hinauf. Meine Sachsenfahne schon in der Trikottasche raste ich Glücksseelig dem Ziel entgegen. Erwartet im Zentrum, mit tosendem Applaus überschüttet, die erste Frau in diesem 24h Rennen welche die Ziellinie nach 620km und 6500Hm überquert.5

7Mit Tränen des Glückes und voller Stolz über die vollbrachte Leistung genoss ich im Anschluss die Siegerehrung.
Trotz aller Mühen und Strapazen – werde ich im nächsten Jahr wieder am Start stehen, um mich dieser Herausforderung zu stellen. Es war für mich eine sehr intensive Erfahrung. Ich habe gelernt, die wahren Grenzen meiner körperlichen und psychischen Belastbarkeit zu erkennen. Es war ein Wechselbad der Gefühle, die man so konzentriert in einem „kürzeren Zeitraum“ nicht erleben kann.

Eure Christine

1